Innovationsregion Fessenheim – Ergebnisse der Machbarkeitsstudie liegen vor

Ausgangslage
Das am 1. Februar 2019 von 13 deutschen und französischen Partnern unterzeichnete Raumprojekt “Notre ambition commune pour l’avenir du territoire de Fessenheim” (Unsere gemeinsame Vision für die Zukunft der Region Fessenheim) wurde im Rahmen der Stilllegung des Elsässer Kernkraftwerks Fessenheim verabschiedet. Es zeugt von dem gemeinsamen Bestreben, sich als Region zu einem europäischen Modell für eine emissionsneutrale Wirtschaft weiterzuentwickeln. Eine Wirtschaft, die sich auf ihre Kompetenz- und Innovationsbereiche stützt, die Arbeitsplätze und einen Mehrwert für die Region – genauer gesagt die Communauté de communes Pays Rhin Brisach, das Dreieck Colmar – Mulhouse – Freiburg und im weiteren Sinne das Departement Haut-Rhin – schafft.
Das Projekt bietet die einzigartige Gelegenheit, gemeinsam darüber nachzudenken, wie die Region emissionsneutral, innovativ und zukunftsorientiert weiterentwickelt werden kann. Im Zentrum der grenzüberschreitenden Regionalentwicklung stehen die Entwicklung von neuen Technologien sowie die Förderung der lokalen Wertschöpfung und die Schaffung von Arbeitsplätzen.
Das Raumprojekt Fessenheim ist eines der ersten 15 prioritären Projekte des Aachener Vertrages, des Vertrags über die deutsch-französische Zusammenarbeit und Integration. Damit wurde das Vorhaben, gemeinsam ein Raumprojekt zur Neugestaltung und Umnutzung des Gebietes rund um das Kernkraftwerk Fessenheim mit Hilfe von Projekten, die zur Energiewende und Innovation beitragen, bekräftigt.
Vor diesem Hintergrund wurde eine gemeinsame Machbarkeitsstudie für die Umsetzung innovativer Aktivitäten, die eine Energiewende begünstigen, in Auftrag gegeben, an der deutsche und französische Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft beteiligt waren.
Die Studie wurde vom französischen Staat, der Region Grand Est, dem deutschen Bundesministerium des Innern und für Heimat und dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg finanziell unterstützt.
Machbarkeitsstudie Innovationsregion Fessenheim
„Die Grundidee der Machbarkeitsstudie ist das Identifizieren durchführbarer Transformationspfade für die Energiewirtschaft, verbunden mit einer nachhaltigen zukunftsorientierten Industrie, der Einbindung einschlägiger Studien, Wissenschaftspartner und Stakeholder aus der Gesellschaft, der Industrie und Wirtschaft.“
Prof. Dr. Barbara Koch, Direktorin des Upper Rhine Cluster for Sustainability Research
Die Machbarkeitsstudie ist ein gemeinschaftliches Projekt vom trinationalen Universitätsverbund Eucor – The European Campus und dem Upper Rhine Cluster for Sustainability Research. Unter der Leitung des Direktoriums des Oberrheinclusters für Nachhaltigkeitsforschung erarbeiteten vier deutsch-französische Kompetenzgruppen erarbeiteten konkrete Pilotprojekte zu den Bereichen „Grüne Batterien und Batterierecycling (Kreislaufwirtschaft)“, „intelligente Stromnetze“ (Smart Grids) und „Wasserstoff“. Eine vierte Gruppe befasste sich mit den gesellschaftlichen, rechtlichen und ökologischen Herausforderungen, die mit diesen Pilotprojekten verbunden sind. Für die Durchführung der Machbarkeitsstudie stand ein Budget von insgesamt 800.000 Euro zur Verfügung, das je zu einem Viertel durch das Land Baden-Württemberg, die Bundesrepublik Deutschland, den Französischen Staat und die Région Grand Est getragen wurde. Die Studie wurde über einem Zeitraum von 15 Monaten (Januar 2021-März 2022) durchgeführt.
Zentrale Bausteine für eine Innovationsregion
Auf dem Weg zu einer Innovationsregion mit internationaler Strahlkraft hat die Studie vier zentrale Komponenten ermittelt:
- Regionale Reallabore (living labs), in denen technologische Konzepte und nachhaltige Energiesysteme getestet und den Bürgerinnen und Bürgern vorgestellt werden.
- Transformations- und Innovationszentren, in denen wissenschaftliches Know-how auf Industrie und potentielle Investoren trifft.
- Konzepte zur Stärkung der Modellregion, die Ausbildung, Weiterbildung und Lehre beinhalten.
- Diskurs mit Vertreterinnern und Vertretern der Gemeinden in der Region.
Vision
Aus der Machbarkeitsstudie lassen sich zwei Visionen für die Region formulieren:
- Durch Vernetzung regionaler Akteurinnen und Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft wird die Region Fessenheim zu einer grenzüberschreitenden europäischen Innovationsregion weiterentwickelt.
- Die Region Fessenheim ist ein europäisches Vorbild für gesellschaftlichen und industriellen Wandel hin zur Nachhaltigkeit.
Pilotprojekte als Best-Practice-Beispiele
Um die angestrebten Transformationsprozesse in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaneutralität voran zu treiben, schlagen die Kompetenzgruppen zehn Pilotprojekte vor.
Auf dem Weg zu einem nachhaltigen und emissionsneutralen Energiesektor empfiehlt die Studie den Einsatz von Grünen Batterien, die im Rahmen einer Kreislaufwirtschaft entstehen, recycelt und wiederverwendet werden. Im Bereich der Batterietechnologien gibt es langfristig keine Alternative zur Kreislaufwirtschaft, da der boomende Batteriemarkt in der Zukunft zu einer Masse an veralteten Batterien führen wird. Pilotprojekte in diesem Bereich betreffen die Zweitverwendung von Elektrofahrzeugbatterien, eine entsprechende Infrastruktur zur Demontage und Recycling von Batterien sowie eine Fabrik für Hochleistungsbatterien. Der Bericht empfiehlt, die gesamte Verarbeitungslinie in der Region anzusiedeln.
Während Batterien wichtige Fortschritte beispielsweise für den Personenverkehr versprechen, sich aber nicht für energieintensive Prozesse eignen, bietet sich Wasserstoff für den Einsatz in energieintensiven industriellen Prozessen an. Im Verkehrsbereich kommt er beispielsweise bei Schwertransporten oder Schiffen zum Einsatz. Um den Oberrhein zu einem Handelsplatz für grüne Energie zu machen, schlägt die Studie vor, einen Wasserstoff-Hub aufzubauen und dazu vier Pilotprojekte rund um das Wasserstoffenergiesystem umzusetzen. Zum einen wird empfohlen, die Großindustrie mit Grünem Wasserstoff zu versorgen und eine virtuelle, containerbasierte Pipeline für einen flexiblen Import zu errichten. Zum anderen schlägt die Studie vor, wasserstoffbasierte Transportmöglichkeiten für die Straße auszubauen, um den CO2-Fußabdruck des regionalen Straßentransports zu reduzieren. Als viertes Projekt wird der Einsatz von Agri-Photovoltaik auf landwirtschaftlichen Flächen sowie die Nutzung von Biomasse für die lokale Erzeugung von Wasserstoff empfohlen.
Um Erzeugung und Verbrauch von Strom zu optimieren, wächst die Bedeutung von intelligenten Stromnetzen. Ein intelligentes Strommanagement ist ein Schlüssel für die erfolgreiche Transformation des Energiemarktes. Auf dem Weg zu einem intelligenten Stromnetz (Smart-Grid) soll das bestehende regionale Netz zunächst kartiert und verschiedene Szenarien modelliert werden. Ziel ist ein gemeinsames Stromübertragungsnetz. Als erstes Pilotprojekt wird die Installation von intelligenten Stromnetzen in zwei Stadtvierteln in Frankreich (Mulhouse) und Deutschland (Karlsruhe) als Testumgebung für intelligentes Netzmanagement empfohlen. Das Projekt soll veranschaulichen wie intelligente Stromnetze u.a. den Energieverbrauch optimieren. Für eine Optimierung der Netzauslastung des Ladestationsnetzes in den Stadtteilen empfiehlt die Studie, die Elektromobilität in das erste Pilotprojekt zu integrieren. Des Weiteren werden die Kartierung des bestehenden regionalen Stromnetzes und die Analyse seiner Schwachstellen für einen optimalen grenzüberschreitenden Stromaustausch vorgeschlagen.
Die Kompetenzgruppe „Territoriale Rahmenbedingungen“ hat sich mit den territorialen Herausforderungen für die Umsetzung der Vorhaben auseinandergesetzt. Dabei hat sie die soziale Akzeptanz, Umweltauswirkungen, territorialen Austausch und rechtliche Rahmenbedingungen untersucht. Da die Analyse gezeigt hat, dass das objektive Wissen nur wenig mit dem Grad der Akzeptanz zu tun hat, empfiehlt die Gruppe eine sorgfältige Kommunikation, um ein positives Image der Pilotprojekte aufzubauen. Die Untersuchung der Umweltauswirkungen hat wichtige Erkenntnisse und Folgeabschätzungen einzelner Pilotprojekte geliefert. Die Umwandlung von Fessenheim in eine nachhaltige und innovative Region wirft rechtliche Fragen auf. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit könnte der Schlüssel zur Entwicklung eines attraktiven rechtlichen Rahmens sein. Die Innovationsregion Fessenheim kann z.B. als bilaterale Innovationszone entlang des Rheins rechtlich behandelt und so im Rahmen des EU-Energierechts gefördert werden und von der Experimentierklausel, welche im Aachener Vertrag genannt wird, Gebrauch machen.
Erfolgsfaktoren
Als Erfolgsfaktoren für die Umsetzung der empfohlenen Pilotprojekte wurden zwei Eckpfeiler ausgemacht. Neben der Rentabilität der benötigten Investitionen (Business Case) spielt auch die gesellschaftliche Unterstützung und Akzeptanz eine bedeutende Rolle.
Ausblick
Die Machbarkeitsstudie hat gezeigt, dass die Innovationsregion Fessenheim das Potenzial dafür hat, sich zu einem europäischen grenzüberschreitenden regionalen Innovationssystem (cross-border regional innovation system – CBRIS) zu entwickeln. Um genauere Umsetzungspläne für die Pilotprojekte zu entwickeln, muss der nächste Schritt darin bestehen, an ihrer Konkretisierung zu arbeiten, dazu müssen insbesondere Vertreterinnen und Vertreter der deutschen und französischen Industrie hinzugezogen werden. Eine ganzheitliche Betrachtung der Pilotprojekte ist für einen nachhaltigen Transformationsprozess unerlässlich. Die Oberrheinregion mit ihren bestehenden Industrieclustern hat die Chance, zu zeigen, wie eine trinationale Region durch die Bündelung der Ressourcen auf beiden Seiten des Rheins zu einer zukunftsorientierten, nachhaltigen Innovationsregion weiter entwickelt werden kann.
Weiterführende Links:
Kontakte:
Prof. Dr. Barbara Koch
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
ferninfo@felis.uni-freiburg.de
Prof. Dr. Alain Dieterlen
Université de Haute-Alsace
alain.dieterlen@uha.fr
Prof. Dr. Thomas Hirth
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Thomas.Hirth@kit.edu
Prof. Dr. Dominique Badariotti
Université de Strasbourg
dominique.badariotti@live-cnrs.unistra.fr
