Rückenwind für Eucor – The European Campus: „Eine einmalige historische Chance“
Die Landesregierung Baden-Württembergs will den Universitätsverbund Eucor – The European Campus zu einer europäischen Universität weiterentwickeln. Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer, Präsident von Eucor – The European Campus und Rektor der Universität Freiburg, erklärt im Interview, warum er sich für diese gemeinsame Zukunftsperspektive der Universitäten am Oberrhein einsetzt.
Herr Schiewer, wie kommt es, dass Eucor – The European Campus aktuell so viel Aufmerksamkeit und Zuspruch aus Politik und Wissenschaft erhält?
Hans-Jochen Schiewer: Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hat in seiner Sorbonne-Rede vom September 2017 die europäische Idee eng mit dem Konzept Europäischer Universitäten verbunden. Damit hat er eine neue Begeisterung für das europäische Projekt ausgelöst, das zuvor durch den britischen Volksentscheid für den Austritt aus der Europäischen Union einen deutlichen Rückschlag erlitten hatte. In der Region am Oberrhein beobachten wir schon lange, dass die Wissenschaft das Zugpferd der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ist. Daher hat auch die Politik die Idee der Europäischen Universität sofort mit Eucor – The European Campus verknüpft und den Verbund als Modell identifiziert. Wir haben damit eine einmalige historische Chance, die europäische Idee wiederzubeleben: Wenn wir unseren Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Chance eröffnen, Europa als alltägliche Erfahrung zu erleben, ist das eine wunderbare Möglichkeit, um den europäischen Gedanken zu stärken.
Warum ist ein Verbund aus Ihrer Sicht das angemessene Modell, wenn es darum geht, die Idee der Europäischen Universität umzusetzen?
Es wäre verwegen zu glauben, dass Universitäten aus mehreren Mitgliedsstaaten oder assoziierten Staaten der Europäischen Union innerhalb kürzester Zeit in der Lage wären zu fusionieren. Deshalb muss die Europäische Universität zunächst als Verbund von vier bis fünf Universitäten gedacht werden. Sie sollten regional und thematisch zusammenpassen, sich aber auch klar dafür entscheiden, in besonderer Weise miteinander zu kooperieren. Das heißt: Sie benötigen eine eigene Strategie, Governance und Rechtsform, um glaubwürdig als Europäische Universität antreten zu können. In der langfristigen Vision können wir uns vorstellen, dass diese Universitäten über die Jahrzehnte hinweg so eng zusammenwachsen, dass man sie als eine Institution wahrnimmt.
Und dieser Verbund sollte sich nicht inhaltlich oder strukturell beschränken, sondern die Universitäten in ihrer Gesamtheit umfassen?
Eine Universität zeichnet sich dadurch aus, dass sie aus drei wesentlichen Komponenten besteht: Lehre, Forschung und Innovation. Deshalb ist es grundlegend wichtig, eine Europäische Universität über alle drei Leistungsdimensionen zu fördern und auf den Weg zu bringen. Alles andere wäre keine neue Qualität.
Wie weit sind die Universitäten am Oberrhein – Basel, Mulhouse, Strasbourg, Freiburg und das Karlsruher Institut für Technologie – auf ihrem gemeinsamen Weg schon vorangeschritten?
Wir haben schon 2012 die Idee ins Auge gefasst, uns zu einer Europäischen Universität zu entwickeln. Darin haben wir eine große Chance gesehen, unsere weltweit führenden Positionen in vielen Forschungsfeldern zusammenzubringen, unsere Kompetenzen wechselseitig zu ergänzen und unsere gemeinsame Stärke zum Ausdruck zu bringen. Deshalb haben wir beschlossen, uns eine gemeinsame Rechtsform zu geben: Wir haben 2015 den ersten allein von Universitäten getragenen Europäischen Verbund für territoriale Zusammenarbeit, kurz EVTZ, gegründet. Das gibt uns nun die Möglichkeit, gemeinsam in Deutschland, Frankreich, der Schweiz und bei der Europäischen Union Fördermittel für Forschung und Lehre zu beantragen. Jetzt sind wir natürlich sehr glücklich, dass diese Idee, die uns in der Region beflügelt hat, aufgegriffen worden ist und zur Plattform für das europäische Projekt wird – wir sehen darin eine Bestätigung unseres Kurses.
An welchen Beispielen zeigt sich die besondere Qualität der Zusammenarbeit schon heute?
Unserer Strategie ist, in Forschung und Lehre Bereiche zu identifizieren, in denen wir aus der Zusammenarbeit einen Mehrwert ziehen. Ein Beispiel aus der Forschung ist die Quantenphysik und Quantentechnologie: Keine der Mitgliedsuniversitäten von Eucor – The European Campus hat auf diesem Gebiet allein eine kritische Masse erreicht, aber im Verbund sind wir einer der stärksten Standorte in Europa. Wir haben ein gemeinsames Projekt aufgesetzt und innerhalb eines Jahres erreicht, dass uns die Endress & Hauser Stiftung mit zehn Millionen Schweizer Franken fördert. Das zeigt, dass wir mit klaren strategischen Entscheidungen und Mehrwerten sofort überzeugen. In der Lehre kooperieren wir schon lange: Wer an einer der fünf Mitgliedsuniversität immatrikuliert ist, kann Seminare und Vorlesungen am gesamten European Campus besuchen und überall die Bibliotheken nutzen. Zudem haben wir bi- oder trinationale Studiengänge eingerichtet, die oft mit Doppelabschlüssen an zwei oder drei Mitgliedsuniversitäten beendet werden. Dennoch gibt es noch große Herausforderungen – beispielsweise benötigen wir ein Semesterticket für den European Campus, um die Mobilität der Studierenden zu erhöhen und zu erleichtern.
Welches Profil will der European Campus in den kommenden Jahren entwickeln?
Wir haben uns klare Ziele gesetzt: Unsere strategischen Stabsstellen, International Offices und Service Center Studium werden Synergien entwickeln, und wir wollen unsere Studienordnungen, Lehrpläne und Studienleistungen harmonisieren. Auch für den Technologietransfer können wir uns vorstellen, gemeinsame Strukturen aufzubauen. In der Forschung haben wir ein wegweisendes Projekt, in dem wir die Infrastrukturen an allen fünf Universitäten beschreiben, auf dieser Basis ein gegenseitiges Nutzungskonzept beschließen und unsere Infrastrukturen an den einzelnen Standorten so weiterentwickeln, dass wir uns wechselseitig ergänzen.
Was kann ein solches Vorhaben zur Herausbildung einer europäischen Identität beitragen?
Aus meiner Sicht ist die besondere Qualität in der Region dadurch gegeben, dass der Oberrhein ein kleines Europa ist. Wir können hier unmittelbar in ganz andere Kulturräume und Denkweisen eintauchen, sodass Europa in seiner Vielfalt erlebbar wird. Auf dieser Grundlage wollen wir junge Führungskräfte ausbilden, die Europa als Basis ihres Denkens sehen – und ihre Identität nicht mehr allein über das Land oder die Region ihrer Herkunft definieren.